Donnerstag, 8. November 2012

Heimat ist, wo du nicht bist.

Heimat ist, wo du nicht bist.

Flucht, der wohl letzte Weg. So endet es jeden Tag. Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag. Ich schließe die Tür hinter mir. Die Stimmen dringen durch die geschlossene Tür, scheinen nicht leiser zu werden. Sie dringen in meinen Kopf, lassen nicht los, klammern sich fest, bekämpfen all das Positive, zerstören meine Fantasie, zerstören mich. Ich höre die Schläge, die Gegenstände, die durch das karg eingerichtete Wohnzimmer fliegen. Wann wird er endlich gehen? Niemals, vielleicht wenn er tot ist. 
Gewalt. Heimat ist, wo du nicht bist.

Der Platz am Fluss. Meine Insel in einem Meer voller Unheil. Sie schwirren umher, all diese Gedanken. Würde gern schreien, alle Welt an ihnen teilhaben lassen, sie ertränken oder feiern. Keiner da. Nur die Wellen antworten, doch in einer fremden Sprache. Wer möchte hören, was sonst keiner denkt? Wer möchte sehen, was sonst keiner sieht? Niemand.
Einsamkeit. Heimat ist, wo du nicht bist.

Ich gehe umher, sehe ihn. Er steht, wo er immer steht. Eine von Schatten bedeckte Ecke der Hauswand. Seine viel zu weißen Zähne blitzen auf, als sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitet. Seine Grübchen scheinen von mal zu mal tiefer zu werden, genau wie seine Blicke. Warum lacht er immer, wenn ich an ihm vorbei gehe? Er weiß etwas, lacht mich aus. Oder mag er mich? Ich senke den Kopf, schaue zu Boden, würde mich gern auflösen.
Unsicherheit. Heimat ist, wo du nicht bist.

Mein Kopf bleibt unten. Ich beginne zu denken. Kann ich ausbrechen? Ja, nein, ja, nein. Schau dich an. Blass wie eine Leiche, unscheinbar wie Luft, doch der Kopf vernebelt. Bist du wirklich du selbst? Kann ich schaffen, was auf meinem Plan steht? Alle gelenkt von Führern, beeinflusst von Werbung, unterdrückt von sich selbst.
Zweifel. Heimat ist, wo du nicht bist.

Ich hebe den Kopf. Dort, die große Schaufensterscheibe ist wie ein Spiegel, wenn die Sonne so auf sie scheint. Meine schlaksige Gestalt wie ein Schatten, um mich herum bunte, gesichtslose Punkte. Sie rennen umher, als hätten sie keine Zeit. Haben sie keine Zeit? Keine Zeit zu denken, keine Zeit zu fühlen.
Hast. Heimat ist, wo du nicht bist.

Ich wende mich ab. Gehe meinen Weg. Es klopft hinter mir. Immer im Gleichschritt. Rechts, links, rechts, links. Hastig drehe ich mich um. Nichts. Meine Schritte werden schneller. Rechts, links, rechts, links. Ein Lufthauch in meinem Nacken. Ist er etwa da? Direkt hinter mir, ist mir gefolgt, lässt seinen Blick nicht von mir. Ein Blick zurück. Nichts.
Angst. Heimat ist, wo du nicht bist. 

Ich setze den Fuß auf den Bordstein. Hebe mein Bein, hieve meinen viel zu dünnen Körper über das Geländer. Wind weht, der Geruch von Regen. Einen Moment denke ich nach, lasse los. Ein kurzer Flug, alles zieht an mir vorbei. Ich wachse an meinem Mut, bereue nichts. Autos hupen, ich schlage auf. Alles ist vorbei.
Tod. Heimat ist, wo du nicht bist.

Heimat ist, wo solche Gedanken ruhen. 



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