Samstag, 16. März 2013

Redner


Ich bin ein Redner. Ein Akrobat in einer Manege voller Zuhörer. Wir alle sind Redner. Wir jonglieren mit Worten und nennen es sprechen. Wir sind gut in dem, was wir tun und doch sind wir uns zu selten bewusst, wann Worte machtvoll sind und wann sie wie Seifenblasen zerplatzen.

Wir sprechen von Toleranz und Akzeptanz. Von Rücksichtnahme und Gleichheit. Davon, dass alle Menschen gleich viel wert sind und jeder das Recht hat, gleich behandelt zu werden. Bemerken wir nicht, wie wir jedem hinterher sehen, der nicht in unser Schema passt? Egal ob fremde Religion, andere Hautfarbe, oder Behinderung, wir beginnen über Menschen zu tuscheln, zu lästern, zu reden und sprechen ihnen Eigenschaften zu, die nur in unseren Köpfen bestehen. Das Ergebnis ist von Vorurteilen behaftet und doch scheinbar so überzeugend. Wir laufen an Obdachlosen vorbei, und selbst wenn sie uns leid tun, denken wir doch insgeheim, dass sie selbst daran Schuld seien, dass sie so leicht etwas ändern könnten.
Wir reden von Toleranz und Akzeptanz. Von Rücksichtnahme und Gleichheit.

Wir sprechen davon, dass uns die Neuen Medien erschlagen, dass sie uns verdummen. Davon, dass die deutsche Sprache verkommt, eingenommen von Kiezdeutsch und Anglizismen. Doch die 140 Zeichen einer SMS mit sinnvoller Wortwahl und korrekter Grammatik zu füllen, dafür fehlt uns die Zeit. Unsere Gefühle bringen wir nicht mehr durch Worte zum Ausdruck. Doppelpunkt, Strich, Klammer auf oder nein, ich fühle mich eher so Doppelpunkt, Strich, Klammer zu. Fahren wir mit dem Bus oder der Bahn, sind wir umgeben von gesenkten Köpfen mit Genickstarre, alle starrend auf dieses kleine Quadrat in ihren Händen. Es wird sich nicht mehr unterhalten, sondern es findet eine individuelle Freizeitbeschäftigung via Smartphone statt. Für unsere Bildung reicht und das bildende Nachmittagsprogramm von RTL und um zu sehen ob die Sonne scheint schauen wir nicht mehr aus dem Fenster, sondern lesen die Statusmitteilungen über das Wetter unserer Freunde bei Facebook. 
Wir reden davon, dass uns die Neuen Medien erschlagen, dass sie uns verdummen.

Wie sprechen davon, dass unser Geld immer weniger wert ist, dass sich die Schufterei nicht mehr lohnt. Doch haben wir von nahezu allem zu viel und es reicht uns noch immer nicht. Mit unserem weggeschmissenen Essen aus einem Monat könnten wir eine afrikanische Familie ernähren. In unseren Kleiderschränken türmen sich dicke Pullover,  dünne Pullover, Winterjacken, Übergangsjacken, All-Wetter-Jacken, kurze Hosen, 3/4 Hosen, 7/8 Hosen, lange Hosen, Cardigans, T-Shirts und Hemden. Vieles nie getragen und doch gekauft und immer wieder verirren sich neue Kleidungsstücke in unseren Schrank, die das gleiche Schicksal erwartet.
Wir reden davon, dass unser Geld immer weniger wert ist, dass sich die Schufterei nicht mehr lohnt.

Wir sprechen von Umweltbewusstsein und einer grünen Zukunft. Von erneuerbaren Energien, artgerechter Viehhaltung und Bio-Gemüse. Und doch fahren wir jede noch so kleine Strecke mit dem Auto. Fahrradfahren zerstört unsere Frisur, bei 5°C friert unsere Nase, von unseren Fingern ganz zu schweigen, und bei 20°C fangen wir noch an zu schwitzen und zu stinken. Unser Essen soll artgerecht gehalten werden, und manipuliertes Gemüse kommt uns nicht auf den Teller. Doch mehr Geld dafür ausgeben? Warum sollten wir? Den Mehraufwand sollen die Bauern doch gefälligst aus ihrer eigenen Tasche bezahlen. Die Zahl der Vegetarier steigt. Proportional dazu ebenfalls die Anzahl an Wettfressen mit Hotdogs und die Größe der Riesenhamburger.
Wir reden von Umweltbewusstsein und einer grünen Zukunft.

Wir sprechen davon, dass wir in der heutigen Zeit alles schaffen können, wenn wir nur wollen. Doch insgeheim haben wir mehr Zweifel an dieser Aussage, als dass man sie in Worte fassen könnte. Wir sagen, dass wir einfach momentan nicht wollen, der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen ist. Man muss ja nicht immer alles auf einmal hinter sich bringen. Und überhaupt sind es ja eh‘ immer die Anderen, die uns unsere Chancen verbauen.
Wir reden davon, dass wir in der heutigen Zeit alles schaffen können, wenn wir nur wollen.


Ich stehe hier, spreche über all die Dinge, über die jeder spricht. Über all die Dinge, über die jeder denkt wie er nur denken mag. In meinem Glückskeks stand: „Du bist was du tust, nicht was du sagst.“ Und doch bin ich nur ein Redner, auf der Schwelle zu all den Dingen, die getan werden können. 
Und ihr?
Wie viele Worte sprecht ihr am Tag? Und mit wie vielen Schritten traut ihr euch, dem Gesagten zu folgen?